Auf jeden Fall ist das eine Qualität, die wir alle kennen und können. Es ist keine Größe, die es erst zu erreichen, sich zu er-arbeiten gilt. Verbundenheit zeigt sich schon im ersten Moment in dem sie erscheint in ihrer ganzen Fülle. Sie braucht nicht geübt oder trainiert zu werden. Es geht dabei mehr ums zulassen, herauslassen, ihr Raum geben. Damit sie aufleuchtet die Verbundenheit muss ich mich zuerst "in Beziehung setzen" zu meinem Gegenüber. Und das braucht Aufmerksamkeit, manchmal Mut, immer Anfängergeist und Neugierde. Wie zugänglich mir diese Qualitäten sind, das kann ich trainieren, mir, an- oder umgewöhnen. Ich hab die Erfahrung gemacht, dass das zarte Wesen sind, die Neugierde, der Mut, die Aufmerksamkeit. Die können leicht überrumpelt werden von scheinbar wichtigeren Daseins-Zuständen, die mir helfen sollen meinen Alltag "erfolgreich" zu meistern.
Zielgerichtet-Sein, Einen-Plan-Haben, Effizienz - das wären solche Kandidaten, rüpelhafte Gesellen. Und am Ende von denen steht der größte Rowdy - der Autopilot.
Gerade komme ich aus dem Schlafzimmer. Endlich ist meine Tochter eingeschlafen. Sie hat so lange damit gewartet, bis sich eine störungsfreie Verbindung zwischen uns einstellen konnte. Und dann, sobald die "connection established" war, hat sie sich hingelegt und sich hingegeben, dem Schlaf. Solange ich mich ihr nicht voll hingegeben habe, sondern nebenbei noch mit den to do`s für die kommenden Stunden beschäftigt war, konnte sie es auch nicht. Ich habe sage und schreibe eineinhalb Stunden mit ihr im Schlafzimmer verbracht – alles hartnäckig auf Autopilot, bis auf die letzten 20 Minuten, in denen ich endlich realisiert habe, was mit mir los ist.
Was ist passiert? Ich habe über den Tag so viele kleine Spannungen angehäuft, bis ich abends dann nichts mehr spüren kann. Da ist alles hart im System - zu. Deshalb schaltet mein Körper dann auf Notlösung und die heißt Autopilot. Der Autopilot ist bei mir häufig das Endprodukt eines langen Tages voller Effizienz und Zielorientierung - er ist sozusagen ihre Klimax. Im Autopilot will ich dann ein vorgedachtes, durchgeplantes Programm jetzt einfach nur noch abspielen. Am besten auch noch in einer bestimmten Zeitspanne. Also, Zähneputzen, Nachthemd anziehen, ins Bett legen, vielleicht noch ein Buch lesen, einschlafen und das alles sollte in etwa 30 Minuten über die Bühne gehen.
Ich selbst bin gar nicht mehr dabei bei diesem Film. Bin mehr Zuschauerin. Dass ein anderes lebendiges Wesen dann darin auch nicht mitspielen will, ist nicht weiter verwunderlich. Sie findet ja überhaupt keine Anknüpfungspunkte, meine Tochter. Der ganze Film läuft nur in meinem Kopf ab und ich sitze starr und steif wie ein Roboter da. Wenn der Autopilot läuft, dann schicke ich keine richtigen Lebenszeichen mehr hinaus in die Umgebung. Dann bin ich wie tot für das Gegenüber, es gibt keine Resonanz mehr zwischen uns und dem Anderen bleibt nur der Ausweg in den eigenen Film, das eigene Theater. Getrennt voneinander gehen die Beiden dann nebeneinander ihre Wege. Kennt ja jeder, vermutlich, aus bestimmten Situationen mit bestimmten Menschen (die gar nicht so selten sind).
Und genauso kennen wir alle das Gefühl davon, wie es ist, wenn wir wirklich gehört werden und vom Gegenüber eine Antwort bekommen auf etwas, das uns im innersten gerade beschäftigt und diese Antwort uns einen winzigen kleinen Schritt von der Stelle wegbewegt, auf der wir vorher gestanden sind. Wenn wir durch die Interaktion mit dem Gegenüber jetzt ein winzig kleines bisschen mehr sehen dürfen von dieser Welt. Das fühlt sich an wie Geburtstagskuchen. Eine beglückende Gewissheit, am Leben und im Leben zu sein, mit Anderen. Da zeigt sich Verbundenheit.
Wenn ich meiner Tochter ganz wach zuhöre, ihre Regungen, ihren Blick in mich reinlasse ohne schon einen Schritt weiterzudenken, wenn ich einfach da bin, für sie, ohne Plan im Kopf, einen Moment lang, dann noch einen, auf sie reagiere und dann wieder wach zuhöre, dann entsteht Verbindung. Und daraus dann echte Interaktion. Das schafft wiederum Vertrauen. Diese Qualitäten bewegen sich im Kreis herum, befruchten sich gegenseitig und wachsen gemeinsam. Bei mir und meiner Tochter brauchte es heute Abend etwa 20 Minuten aus Verbindungs- und Interaktionsmomenten bis wieder genug Vertrauen gewachsen war, dass sie sich in meinen Armen der Nacht übergeben wollte.
Das fehlende Vertrauen, also die Angst davor, was auf uns zukommt, wenn wir mit unserem ganzen Sein zuhören und nicht schon einen Plan zur womöglich nötigen Verteidigung bereithalten führt uns ganz oft an der Verbundenheit vorbei. Manchmal, wenn das Leben gerade Lust hat, mich zu überraschen, dann kommt es, wie ein kleines Spinnentier zufällig zu mir gekrabbelt, das Vertrauen und geleitet mich dann gekonnt weiter zu wunderschönen Momenten der Verbundenheit. Meistens aber, im ganz normalen, schnellen, zielgerichteten Alltag stellt es sich bei mir nicht einfach so ein.
Deshalb gehe ich in die Landschaft. Draußen fällt es mir leichter mit anderem Leben in Verbindung zu gehen. Ich bin entspannter, ruhiger, ich vertraue von Grund auf (vertraue der Erde?) und ich kann anfangen zuzuhören mit meinem ganzen Sein. Meine Angst gibt nach, schließt sich der Fließrichtung meiner restlichen Aufmerksamkeit an und ich höre einfach zu. Wenn ein kluges Tun gefragt sein sollte, denke ich mir, wird mir dann schon was einfallen.
Und schwupps, ich fühle sie, die süße Verbundenheit. (Sie schmeckt wirklich süß. Rinnt tief in den Bauch hinunter wie schwerer Honig oder Karamell.) Wie ich sie allerdings im Alltag mit anderen Menschen besser spüren kann, das bleibt eine konstante Herausforderung für mich. In der Landschaft kann ich gut nachforschen, Referenzerfahrung suchen, fragen und Antworten dafür finden.
Noch viel mehr als bisher nehme ich diese Herausforderung ernst. Seit meine Tochter geboren ist, ist da nämlich ein anderer Mensch in meinem Leben und der ist so nahe wie nie zuvor einer. Und die Notwendigkeit von Verbundenheit, wenn ich und meine Tochter gemeinsam ein gutes Leben leben wollen, zeigt sich und drückt und drängt an allen Ecken und Enden. Das pure Leben schreit jeden Tag, jede Minute aus dem Verhalten meiner Tochter: Alarm! Alarm! Alles andere außer Verbundenheit funktioniert hier schlicht nicht. Du kannst jetzt nicht mehr trixen oder kompensieren. Jetzt hast du es mit dem echten Leben zu tun!
Seit meine Tochter da ist, muss ich nicht mehr in wissenschaftlichen Artikeln suchen um zu wissen: Verbundenheit ist die Qualität, die wir brauchen, damit Leben gelingt und fruchtet. Verbundenheit ist die Nahrung, die uns wachsen und gedeihen lässt.
Und jetzt zum Schluss noch der Vollständigkeit halber - ich höre diesen Alarmschrei auch draußen. Er ist dort sanfter, leiser, aber nicht weniger klar. Wenn sich die Nachtkerzen in der Dämmerung öffnen oder wenn die Eidechse aus dem Steinhaufen in der Ecke des Gartens hervorlugt, dann flüstern sie mir genau das gleiche zu wie die Augen meiner Tochter. Nämlich dass ich ihnen zuhören soll, mit ganzer Seele, dass sie mir etwas mitgeben können, das ich noch nicht weiß und das ich brauche, um wirklich zu leben. Weil wir nicht umsonst hier gemeinsam existieren, wir Kreaturen, an diesem Ort, in dieser Zeit. Weil wir durch unseren wachen Austausch miteinander etwas drittes entstehen lassen, das sich in alle möglichen Richtungen ausbreitet und das ist Lebendigkeit, Wachstum, Lernen und Entfaltung.
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